Fake News sind ein globales Phänomen. Die Verfasser von Falschnachrichten und Desinformation interessiert nicht, woher ihre Stories kommen oder ob sie stimmen, solange sie zur eigenen Erzählung passen. In „Good Sweden Bad Sweden“ untersucht der Journalist Paul Rapacioli das Thema am Beispiel des progressiven Vorzeigelandes Schweden.
Das große Einkaufzentrum, Nordstan, in dem ich gerade vor ein paar Wochen in Göteborg war, soll angeblich eine No-Go-Zone sein. Überlaufen von kriminellen Ausländern. Ich war überrascht, das zu lesen. Mir kam das alles sehr normal vor: Da waren die üblichen Filialgeschäfte, viele Menschen und es fand gerade ein öffentliches Schach-Turnier statt.
Rechten Medien zufolge, soll sich aber nicht einmal die Polizei mehr dort hin trauen. Wer dort ist, merkt gleich, dass das falsch ist. Aber wer kommt schon selbst nach Göteborg und testet, wo man besser nicht hingehen solle?
Schweden ist ein Land mit einem weltweit guten Ruf. Einige beliebte Marken wie IKEA, H&M oder Volvo kommen aus Schweden. Seit einigen Jahren kommen digitale Unternehmen wie Spotify und Klarna hinzu. In vielen Rankings zu Lebensqualität, Gleichstellung, Arbeitsbedingungen usw. ist Schweden oft auf den Top-Plätzen vertreten.
Schwedische Werte: weltoffen und zukunftsorientiert
Paul Rapacioli erklärt sich das mit der langen Tradition schwedischer Werte, die seit Anfang des 20. Jahrhunderts unter sozialdemokratischem Einfluss weniger religiös wurden, weniger in der Vergangenheit verhaftet, das traditionelle Familienbild spielt keine große Rolle oder Autoritäten. Gleichzeitig legen die Menschen in Schweden einen großen Wert auf Umweltschutz, Weltoffenheit, Akzeptanz für LGBTQIA+, die Gleichstellung der Geschlechter und Teilhabe in Politik und Wirtschaft.
Die Politikwissenschaftler Ronald Inglehart und Christian Welzel untersuchen regelmäßig die Einstellung von Gesellschaften und vergleichen sie miteinander. Schweden ist ein Sonderfall. Ein Extrem. Kein anderes Land ist gleichzeitig so sekular und legt so viel Wert auf den Ausdruck der Persönlichkeit.
Für Menschen, die die schwedischen Werte nicht teilen, ist das Land ein rotes Tuch – gerade weil das Land so erfolgreich mit diesen Werten ist. Das macht Schweden so attraktiv für Fake News. Die Gegner der schwedischen Werte wollen zeigen, dass das Land mit diesen Werten scheitert.
Fake News gibt es schon lange
Paul Rapacioli spannt dabei einen weiten Bogen von US-Präsident Dwight D. Eisenhower, der den Mythos der hohen Selbstmordrate in Schweden erfand, bis hin zu Donald Trumps „last night in Sweden“-Referenz.
Fake-News kommen aber nicht nur aus den USA – generell ist es ein weltweites Problem. Für Schweden ist allerdings vor allem die englischsprachige Welt relevant. Viele Schweden informieren sich auch auf Englisch. Das sind Quellen wie das englische Mail-Online, die rechtsradikale US-Plattform Breitbart oder Russia Today.
Dabei macht er klar, dass nicht alle Menschen auf solche Nachrichten anspringen. Es gibt die informierten Schweden-Fans, die sich nicht verunsichern lassen. Es gibt am anderen Ende des Spektrum aber auch die Feinde der schwedischen Werte, die jeden Negativ-Bericht aufsaugen und verwenden, um ihre eigenen Werte zu verbreiten. In der Mitte sind Menschen, die Schweden und den schwedischen Werten neutral gegenüber stehen. Für diese Gruppe ist es wichtig, dass nicht zu viele Desinformatonen bei ihnen hängen bleiben, damit der Ruf Schwedens nicht dauerhaft Schaden nimmt.
Fake-News entwickeln sich
Es ist selten so, dass Fake-News komplett aus der Luft gegriffen sind. So einen Fall schildert Paul Rapacioli auch. Da fallen große Nachrichtenorganisationen auf eine gefälschte Webseite mit einem komplett erdachten Artikel herein.
Oft basieren Fake-News auf wahren Begebenheiten und auf seriösen Artikeln dazu. So wird aus einem lokalen Bericht über die praktischen und versicherungstechnischen Schwierigkeiten an manchen Orten die traditionelle Weihnachtsbeleuchtung anzubringen, weitergetragen mit der kritischen Frage, ob das nicht den (muslimischen) Migranten gefalle. Auf rechten Webseiten wird dann daraus, dass Schweden aus Angst vor den muslimischen Einwanderern die Weihnachtsdekoration verbiete. Irgendwie verbreitet sich dann genau diese Nachricht.
Dass solche Nachrichten so gut funktionierten, habe etwas mit der Psyche des Menschen zu tun, die alarmierende Nachrichten stärker wahrnimmt als gute Nachrichten. Es hat etwas mit der Funktionsweise Sozialer Netzwerke zu tun, die diese Eigenschaft der Psyche gerne ausnutzen, um für die Benutzer interessanter zu sein. Und es hat etwas mit der wirtschaftlichen Schwäche der klassischen Medien zu tun, die einerseits nicht dagegen halten können mit seriöser Berichterstattung. Andererseits bewirken die knappen Ressourcen, dass sie selbst ab und zu auf solche Geschichten hereinfallen.
Globale Probleme global angehen
Spannend finde ich, was Paul Rapacioli als Teil der Lösung beschreibt: Die Öffentlichtkeit ist heute eine globale. Weltweit wird ein Kulturkampf um unsere Werte ausgefochten. Nachrichten aus Schweden sollen in den USA die Präsidentschaftwahl beeinflussen. Dagegen helfen nur eigene, seriöse, englischsprachige Kanäle. Medien, aber auch Politikerinnen und Politiker sollten sich englischsprachige Kanäle zulegen, um seriöse Nachrichten zu verbreiten und zu gegebener Zeit auch international gegen Falschmeldungen halten zu können.
„Good Sweden, Bad Sweden: The Use and Abuse of Swedish Values in a Post-Truth World“ selbst ist vielleicht ein Beispiel dafür. Das Taschenbuch ist auf Englisch erschienen im Volante-Verlag und es ist nicht überall erhältlich. Ich habs nur in Bezos’ Buchhandlung gefunden. Da kostet es 23,18€
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