Vermutlich hast Du dich mit Twitter und Facebook abgefunden. Da sind nun einmal alle und was die an Daten sammeln und damit machen – besser nicht drüber nachdenken. Es wird schon nicht so schlimm sein. Vielleicht hast Du ja trotzdem Lust auf einen Blick über den Tellerrand.
Ich hab schon verschiedene Versuche mit dezentralen Netzwerken hinter mir. Ich hatte mal eine eigene Friendica-Installation und lange habe ich einen Diaspora-Account aktiv betrieben. Ich hatte auch einen Identi.ca-Account. Aber der Netzwerk-Effekt ist ein echt starker Faktor: Ich war bei all diesen Netzwerken mit vielen interessanten Leuten vernetzt, aber wenn die eigentlichen Freunde und Bekannten da nicht sind, lässt das Interesse irgendwann nach. Entsprechend wenig scharf war ich jetzt darauf, auch noch mit Mastodon zu starten.
Frei und ohne wirtschaftliche Interessen
Die freien, dezentralen Netzwerke haben den Vorteil, dass die treibende Kraft der Entwicklung nicht die wirtschaftliche Verwertbarkeit der Benutzer-Aktivitäten ist. Niemand muss mit einer Mastodon-Installation Geld verdienen. Wer nicht gerade eine Instanz für tausende Profile betreiben will, kann so etwas auf einem ohnehin vorhandenen Webserver betreiben und nebenher laufen lassen.
„Mastodon ist eine freie und quelloffene Software. Es gibt weder Werbung, Monetarisierung noch Risikokapital. Deine Spenden unterstützen direkt den Betrieb und die Weiterentwicklung dieses Projektes.“ – joinmastodon.org
Darüber hinaus hat sich einiges getan im alternativen Social Web. Vor ein paar Jahren gab es verschiedene Dienste nebeneinander. Inzwischen gibt es die technisches Standards und Bestrebungen, die verschiedenen Netze zusammenzuführen. Mastodon-Benutzer sollen sich mit Friendica‑, Diaspora- und anderen Nutzern austauschen können. Dann sind zumindest die versprengten Benutzer dieser Netzwerke in einem großen Netzwerk vereint. Sie nennen es das „Fediverse“ – also das Föderierte Universum.
Im Dezember letzten Jahres stellte Benjamin Brandall fest, dass Mastodon insgesamt in etwa so viele Nutzer hat, wie Twitter im gleichen Alter. Zu dieser Zeit gab es rund 3500 Instanzen von Mastodon mit jeweils 5 bis 100.000 Benutzern. Spannend an Mastodon ist dann, dass es ein großes Netzwerk ist, das sich wiederum mit anderen Netzwerken austauscht.
Es kann aber auch eine lokale Community haben. Der Mastodon-Client zeigt die öffentliche Timeline der Instanz an und die Timeline des gesamten Netzwerks. So gibt es für viele Themen eine eigene Instanz, auf der man Gleichgesinnte finden kann. Es gibt zum Beispiel eine Mastodon-Instanz aus dem Umfeld des Chaos Computer Clubs (CCC).
„Mastodon is a reaction to Twitter’s size; it’s as if network effect can hit a critical mass and, after a certain point, a network becomes less useful as more people join and dilute it. Facebook has avoided this issue by essentially building a personalized walled garden for every user, and defaulting to privacy. Privacy on a peer-to-peer level only, obviously.“ – Benjamin Brandall
Komplikationen
Freie, dezentrale Netzwerke haben immer das Problem, dass sie komplizierter sind als Dienste aus einer Hand. Das beginnt schon damit, dass man nicht nur einen Benutzernamen hat, sondern einen Benutzernamen auf einer bestimmten Plattform. Bei E‑Mail ist das irgendwie noch akzeptiert, dass man nutzer@plattform.de heißt. Mastodon unterscheidet sich dadurch von Twitter, dass ich dort nicht einfach nur @kaffeeringe bin, sondern @kaffeeringe. Schlimmer noch! Es könnte @kaffeeringe auf mehreren anderen Mastodon-Instanzen geben.
Generell sind dezentrale Systeme schwieriger zu entwickeln und zu betreiben. Auch die einfachen Benutzer haben immer mit URLs zu tun – die sehen kompliziert aus, wenn sie nicht 100 Prozent korrekt sind, erzeugen sie Fehler und da haben die Leute keinen Bock drauf. In Apps gibt es deswegen keine sichtbaren URLs mehr.
Ich hatte schon Schwierigkeiten, mir die passende Mastodon-Instanz für meinen Account auszusuchen. Als Neuling würde ich dazu tendieren, die Instanz mit den meisten Benutzern zu nehmen. Was so viele Leute auswählen, muss ja irgendwie gut sein. Es ist aber nicht der Sinn eines verteilten Netzwerks, dass sich alle auf einem Server tummeln. Mastodon hilft bei der Auswahl. Man kann nach der Sprache filtern und nach Interessen. Aber keine der Interessen passte so richtig. Ich hab dann einfach eine mittelgroße, deutschsprachige Instanz ausgewählt.
Was bringt die Zukunft?
Johannes Ernst meint, dass sich dezentrale Netzwerke nicht durchsetzen werden, wenn sie weiterhin nur Klone bekannter Dienste – aber komplizierter zu bedienen – sind:
„Mastodon lets me tweet, like Twitter. It gives me more characters, but meh, most Tweets are short anyway, and Twitter can raise the limit any time they want. So that’s not a compelling feature. What else does it do for me? Having @foo@bar.com as an identifier sounds cool, but is actually harder to use than Twitter’s @foobar. Finding somebody on Mastodon is largely impossible unless you get an introduction. Trending cannot be implemented at all … I don’t mean to pick on Mastodon specifically, but it’s the latest whose growth is disappointing. And IMHO, from the perspective of solving user problems, Mastodon does less well than Twitter for the vast majority of users.“
Seiner Meinung nach müssen dezentrale Dienste Probleme besser lösen als herkömmliche Dienste. Sie müssen überhaupt ein Problem lösen, für das es noch keine andere Lösung gibt. Fediverse-Fans würden vermutlich darauf antworten, dass Mastodon sehr wohl ein Problem löst: Das Problem, dass Twitter keine lineare Timeline mehr hat, Reklame schaltet und dafür möglichst viele Daten sammelt, dass es nur noch aufgebrachte Diskussionen und zur viel Hate Speach gibt. „Mastodon Is Like Twitter Without Nazis, So Why Are We Not Using It?“ schreibt Sarah Jeong. Das reicht aber vielen sicher nicht, die Hürde für den Wechsel zu nehmen und die Durststrecke zu durchstehen, bis man seinen Freundeskreis bei Mastodon hat.
Mastodon ist mehr als ein Twitter-Klon. Ein Mastodon-Account ist ein Account, mit dem man mit beliebigen Diensten in den Austausch treten kann. So ein Dienst muss nur das ActivityPub-Protokoll nutzen. PeerTube macht das zum Beispiel. Peertube ist eine Art Youtube-Klon für das Fediverse. Pixelfed soll ein Instagram für das Fediverse werden. Ich kann also mit meinem Mastodon-Account Peertube-Kanälen folgen und dort kommentieren. Man stelle sich vor, man könnte so zwischen Twitter und Youtube und Instagram interagieren. Stattdessen werden Bilder von Instagram bei Twitter nicht einmal angezeigt, während jeder andere Link ein Vorschaubild haben kann.
Die Möglichkeiten sind nicht dadurch ausgeschöpft, dass die Community einen Klon nach dem anderen entwickelt und alle dann untereinander zusammenarbeiten. Auch nett. Aber interessant wird es erst, wenn tatsächlich neue Probleme gelöst werden. So schlägt Johannes Ernst vor neue, ernsthafte Dienste zu entwickeln: „a calendar for appointments, an easy way to import, from various providers, and then to share and update medical results, like x‑ray/ultrasound images, lab tests etc, an easy way to bookmark and share and discuss related articles, automation for common tasks, such as scheduling and rescheduling doctor appointments“.
Zumindest was die gemeinsamen Termine angeht, sollte das im Fediverse schon gehen. Der freie Datei-Dienst Nextcloud bietet ebenfalls Föderation an. Ich kann Nextcloud auf meinem Server installieren, meine Dateien dort lagern und sie Leuten freigeben, die einen Account auf einer anderen Nextcloud-Installation haben. Für Nextcloud gibt es auch eine Kalender-App. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, ich kann auch Benutzer einer anderen Nextcloud-Instanz zu einem Termin einladen. Mastodon zum Beispiel müsste nur eine Möglichkeit anbieten, mit der ich Termin verwalten kann – dann könnte ich auch einen Mastodon-Benutzer zu meinem Termin einladen, den ich selbst in Nextcloud habe.
Hier liegt ein Potential für dezentrale Netzwerke. Vor ein paar Jahren gab es viele Insellösungen: OpenID für Accounts und Logins. Identi.ca für Kurznachrichten. Diaspora als Soziales Netzwerk. OwnCloud als Dateidienst. Es wäre eine tolle Lösung wenn es reicht, einen Account bei irgendeinem dieser Dienste zu haben und dann mit allen anderen in Kontakt treten zu können.
Das Schöne aber ist, dass keiner dieser Dienste „das nächste Facebook“ sein muss. Private, freie Netzwerke müssen nicht die Welt dominieren. Es reicht, wenn sie für die Leute funktionieren, die sie benutzen. Wie viele kleine Fachforen für Auto-Schrauber oder Sport-Angler gibt es noch? Die sind alle nicht zu Facebook umgezogen. Von einem Sportverein würde man nie erwarten, dass er der nächste Bayern München werden muss – sonst hat er versagt. Wir haben uns nur daran gewöhnt, dass im Internet immer irgendwer alles andere dominieren muss. Gedacht war das mal anders.
Links
- Wired.com: Decentralized Social Networks Sound Great. Too Bad They’ll Never Work
- Benjamin Brandall: Decentralized Social Media and The Fragmentation of Control
- Eugene Pilyankevich: Why decentralized social services fail (yet so far)
- Johannes Ernst: Why decentralized social networking never makes it—ever heard of Crossing the Chasm?
- Sarah Jeong: Mastodon Is Like Twitter Without Nazis, So Why Are We Not Using It?
- #GPN18: Dezentrale soziale Netzwerke – Theorie und Praxis
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