Europa bekommt eine neue Regierung und keiner bekommt es mit, weil kaum ein Medium berichtet. Mir wäre das gar nicht aufgefallen. Ich folge bei Twitter dem Europäischen Parlament und einigen Abgeordneten. Da gibt es seit Beginn der Anhörungen kein anderes Thema mehr. Aber der Journalist Falk Steiner wies darauf in seinem Blog hin: Keines der klassischen Medien berichtet dem Ereignis angemessen.
Während der Twitter-Account des Europäische Parlaments jeden Tag pünktlich auf den Start der jeweiligen Anhörungen hinweist, die Abgeordneten aus den Sitzungen twittern und hinterher Pressemitteilungen mit ihren Einschätzungen verlinken, berichten nicht einmal die bundesweiten Medien. Bei shz.de oder kn-online gäb es gar nichts, gäbe es nicht den „lustigen“ Herrn Sonneborn – man könnte ihm fast danken.
Also: Nach der Europawahl am 25. Mai 2014 hat sich erst das Europäische Parlament zusammengefunden. Die haben sich in Fraktionen zusammengetan, die Ausschüsse besetzt und so weiter. Im Juli hat das Parlament dann Jean-Claude Juncker zum Präsidenten der Europäischen Kommission gewählt. Das war schon ein wenig hin und her, denn obwohl die Konservativen Mitgliedsparteien der Europäischen Volkspartei mit Jean-Claude Juncker als Spitzenkandidaten angetreten sind, wollten sie ihn nach der gewonnenen Wahl dann doch nicht mehr als Kommissionspräsidenten vorschlagen. Am Ende hat sich aber das Parlament durchgesetzt. Die nationalen Regierungschefs haben Herrn Juncker vorgeschlagen und das Parlament hat ihn gewählt.
Die Kommission ist in etwa mit der Landesregierung vergleichbar. Allerdings kann sich der Kommissionspräsident seine Kommissare – also seine Minister – nicht selbst aussuchen. Alle Mitgliedsländer schicken eine Person als Kommissar oder Kommissarin und der Präsident kann dann zusehen, wie daraus eine vernünftige Ressortverteilung wird.
Da die Kommissarinnen und Kommissare ebenfalls vom Parlament gewählt werden müssen (anders als im Landtag), werden die vorher befragt. Und diese Befragung läuft gerade. Falk Steiner erklärt den Ablauf:
„Fünf Minuten Eingangsstatement, dann eine Minute für die Frage des Parlamentariers, zwei Minuten für die Antwort des Kandidaten, keine Pause bis zum Schluss. Dann letzte Worte des Kandidaten, vier bis fünf Minuten Abschlussstatement, das wars.“
Das Ganze dauert pro Kandidatin drei Stunden und ist alles andere als eine Show. Bereits bevor das Europäische Parlament 2009 durch den Vertrag von Lissabon wesentlich mehr Rechte bekam, hat es 2004 den italienischen Vorschlag für einen Justizkommissar abgelehnt.
Das Europäische Parlament hat auf seiner Homepage eine gute Übersicht aller Kandidaten samt ihren Lebensläufen und den Terminen ihrer Anhörungen. Da sind einige umstrittene Personen dabei:
Der Brite Jonathan Hill zum Beispiel soll für die Regulierung der Finanzmärkte zuständig sein. Er war zuvor Finanzmarkt-Lobbyist – Die Überwachung der Banker-Gehälter hat ihm Juncker deswegen auch schon entzogen.
Der ungarische Vorschlag, Tibor Navracsics, kommt aus der nationalkonservativen Fidesz-Partei, die dort massiv Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit abbaut soll sich um Bildung, Kultur, Jugend und Bürgerschaft kümmern.
Darüber, dass Günther Oettinger Deutschland repräsentieren soll und vom Energie- ins digitale Ressort wechselt, haben vielleicht zumindest die Leser von netzpolitik.org erfahren.
Noch einmal deutlich: Es ist nicht die Europäische Union, die sich diese Leute holt. Es sind die gewählten Regierungen der Mitgliedsstaaten, die diese Vertreterinnen und Vertreter schicken.
Die Fraktionen – bzw. die deutschen Abgeordnetengruppen der Fraktionen kommentieren die Anhörungen laufend:
- SPD
- CDU/CSU (Die machen das allerdings nicht sehr fleißig – ich hab zumindest nichts gefunden)
- Die Grünen (Weiter unten auf der Seite)
- Die Linke
- FDP (Webseite befindet sich noch in Aufbau)
- Piratenpartei
Wer da regelmäßig bei der Partei seines Vertrauens schaut, kann die fehlende Berichterstattung vermutlich ganz gut ersetzen. Wir bekommen eine neue Regierung in Europa. Das sollte man sich anschauen.
Links
- Deutschlandfunk: Neue EU-Kommission – Designierte Kommissare stellen sich Parlament
- Deutschlandfunk: EU-Kommission – Drei Wackelkandidaten
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