Es ist das doppelte Paradoxon von Regulierung: 1. Diejenigen, die man mit den neuen Regeln an die Leine legen will, sind die einzigen, die sie umsetzen können. 2. Das macht sie dann noch überlegener. Cory Doctorow hat deswegen auf der re:publica einen Ansatz vorgeschlagen, der das Problem bei der Wurzel packt.
Netzwerkdurchsetzungsgesetz, Leistungsschutzrecht, Uploadfilter – die großen Aufreger der Netzpolitik in den letzten Jahren hatten mit Regulierung zu tun, die vor allem die großen Plattformen treffen sollte.
Das Leistungsschutzrecht wurde sogar „Lex Google“ genannt. Die Urheberrechts-Novelle sollte vor allem Youtube treffen. Und das Netzwerkdurchsetzungsgesetz sollte endlich Facebook und Twitter dazu zwingen, ordentliche Beschwerdeverfahren einzuführen. Weil Gesetze aber allgemeine Regeln sind, betreffen sie auch immer alle anderen Unternehmen – manchmal auch Hobby-Projekte. Google und Facebook können sich leisten, Uploadfilter zu entwickeln und zu betreiben. Alle anderen nicht. Facebook hat das mittlerweile erkannt und fordert deswegen von sich aus mehr Regulierung.
Das Internet ist mittlerweile so sehr in der Hand von fünf Konzernen Amazon, Google, Facebook, Apple, Microsoft, dass man keinen Bogen mehr um sie machen kann, ohne dass das Internet nicht mehr funktioniert – das zeigte kürzlich das Experiment der Gizmodo-Reporterin Kashmir Hill.
Manche erkläre diese Konzentration von Marktmacht mit den Besonderheiten des Internets: Totale Markttransparenz – man weiß immer, wer den besten Dienst anbietet. Netzwerkeffekt – ein Dienst ist vor allem dann besser, wenn schon viele Leute ihn nutzen. Außerdem seien diese Konzerne schlicht so genial, dass sie immer die besten Ideen schneller als alle anderen hätten.
Humbug, sagt Cory Doctorow, wir sehen die Monopolisierung in vielen Bereichen: Es gibt noch eine Hand voll Musik-Labels. In den USA gibt es noch eine Hand voll Verlage. Es gibt eine Hand voll Film-Studios. Es nur noch eine große Firma, die Brillen herstellt.
Das war einmal anders. Da gab es in all diesen Bereichen viele Konkurrenten. Damals gab es auch noch strenge Monopolregeln. Die wurden von den neoliberalen Regierungen von Ronald Reagan, Margaret Thatcher, Helmut Kohl usw. nach und nach aufgeweicht. Es blieb nur die Regel, dass Monopole okay seien, solange sie keine Preissteigerungen für die Kunden bedeuteten.
In einer Marktwirtschaft neigen die Unternehmen dazu, Konkurrenz zu vermeiden, indem sie Monopole zu bilden versuchen. Das ist seit ein paar Jahrzehnten wieder einfacher möglich. Cory Doctorow erzählt, dass es früher unmöglich war, mit dem größten Konkurrenten zu fusionieren oder die kleinen Konkurrenten aufzukaufen. Man durfte auch nicht in allzu vielen Branchen tätig sein. All das ist dereguliert.
Der Ruf der Big-Five Amazon, Google, Facebook, Apple, Microsoft als Innovatoren rührt vor allem daher, dass sie ständig Innovationen einkaufen. Damit verschaffen sie sich selbst einen Vorteil und halten sich gleichzeitig potentielle Konkurrenten vom Hals. „Apple kauft im Monat häufiger Unternehmen als ich Lebensmittel“, witzelt Cory Doctorow.
Sein Fazit: Das Problem sei nicht der Überwachungskapitalismus, sondern der Monopolkapitalismus. Die Monopole erfordern immer neue und aufwendigere Gesetze, um Rechte durchzusetzen – Urheberrechte aber zum Beispiel auch Persönlichkeitsrechte. was macht man, wenn ein Nazi seinen Amoklauf durch Moscheen livestreamt?
„Wir brauchen eine energische und schlagkräftige Form des Kartellrechts, das Firmen nicht nur finanziell bestraft, sondern auch tatsächlich zerschlägt“
– Cory Doctorow
Viele dieser Probleme gebe es nicht, in einem Internet, wie es mal gedacht war. Ein Internet, in den man seinen Dienst hängen konnte und als Gleicher unter Gleichen auftrat. Da hätte es auch Leute gegeben, die Videos klauen, die Menschen beleidigen, die Morde livestreamen – aber es hätte nicht so schnell so eine Reichweite. Die Betreiber von Diensten könnten einen Überblick behalten, was auf ihren Plattformen passiert.
Hier in meinem Blog könnte natürlich jemand einen Kommentar hinterlassen, der Volksverhetzend ist. Aber ich würde das spätestens am nächsten Tag merken. Bis dahin haben das 4 Leute gelesen. Ich würde es einfach löschen, das wäre mein Hausrecht – niemand würde vermuten, dass hier staatliche Aufgaben an Konzerne ausgelagert werden.
Ich fand die Argumentation immer schräg, dass Facebook oder YouTube zu groß für Moderation seien. Sie sind zu groß für Moderation aber nicht zu groß, um damit wahnsinnig viel Geld zu verdienen? Wenn sie zu groß für Moderation sind, muss man sie halt kleiner machen. „Wir brauchen eine energische und schlagkräftige Form des Kartellrechts, das Firmen nicht nur finanziell bestraft, sondern auch tatsächlich zerschlägt“, sagt Cory Doctorow.
Video
Erst wenn Du das Video startest, werden Daten an YouTube übermittelt. Siehe Datenschutzerklärung
Schreibe einen Kommentar