Wer eine Verkehrswende will, sollte nicht vom Auto sprechen, denn das ist eine Geschichte des Verzichts. Wir sollten von dem sprechen, was wir gewinnen: Lebenswerte Städte und Dörfer.
Selbst wenn es die Klimakrise nicht gebe, hätten wir gute Gründe, für weniger Abhängigkeit vom Auto zu sorgen. Unsere Städte sind durchzogen von Straßen, auf denen sich die Blechlawinen wälzen. Aus Angst dürfen Kinder dort nicht mehr spielen. Für sie gibt es Reservate in den Stadtteilen: Spielplätze.
Zur Schule werden sie von ihren Eltern gefahren. Sie werden so selbst zum Teil der gefährlichen Blechlawine. Die Straßenränder stehen voll, mit kostenlos abgestellten Fahrzeugen, die die meiste Zeit nur herumstehen. Wo Autos sind, ist es laut und eng und gefährlich. Und zumindest Verbrennungsmotoren produzieren auch noch ungesunde Abgase.
Dabei kann man es den Menschen nicht vorwerfen: Sie fahren nicht Auto, weil sie so egoistisch sind. Sie fahren Auto, weil es für sie die rationalste Lösung ist, von A nach B zu kommen. Sie sind abhängig von Auto.
Wenn man ihnen das Auto nimmt, ist es ein Verlust. Wären andere Lösungen ähnlich komfortabel, schnell und ähnlich günstig, würden sie sich anders entscheiden. Besser noch: Wenn sie sich bestimmte Strecken einfach sparen könnten, bräuchten sie gar kein Auto.
Nähe organisieren, Wegen sparen
Ich erinnere mich: Wir sind vor 20 Jahren noch regelmäßig mit dem Auto zur Videothek gefahren. Das habe ich lange nicht mehr gemacht. Streamingdiensten sei Dank. Diese entfallenen Fahrten empfinde ich überhaupt nicht als Verlust.
Die Corona-Pandemie hat es gezeigt: Wir müssen gar nicht immer im gleichen Büro hocken, um produktiv arbeiten zu können. Bei vielen Menschen funktioniert das Home-Office hervorragend. Gleichzeitig haben nicht alle Menschen den Platz für einen dauerhaften Arbeitsplatz in der Wohnung. Aber es bietet sich an, dass Arbeitgeber statt einem großen, zentralen Gebäude, viele kleinere Standorte hat oder sich in Gemeinschaftsbüros und CoWorking-Space einmietet. Ich glaube nicht, dass irgendwer darauf besteht, mit dem Auto zur Arbeit zu fahren, wenn es auch ein Büro um die Ecke gibt.
So könnten auch Dienstleistungen wieder in mehr Stadtteilen angeboten werden. Wenn zum Beispiel die Stadtverwaltung dezentral arbeiten lässt, könnte sie dafür sorgen, dass es regelmäßig Öffnungszeiten und Sprechstunden in diesen Standorten gibt. Mal abgesehen davon, dass Verwaltung in Zukunft viel mehr online möglich sein wird. Andere Länder machen es vor.
Liefer- und Abholdienste könnten wesentlich verbessert werden. Nahrungsmittel liefern zu lassen, ist beispielsweise noch wenig verbreitet. Dabei wäre es praktisch, wenn auf optimierten Routen in kleinen Lieferfahrzeugen der Einkauf direkt ins Büro oder nach Hause geliefert würde.
Die Verkehrswende ist ein Umdenken bei der Stadtplanung
Im Geografie-Studium habe ich gelernt, dass jede Stadt sich um das Verkehrsmittel der Zeit entwickelt hat. Die Städte des Mittelalters sind klein und eng, weil sie für Fußgänger gedacht waren. Amsterdam ist für das Boot gebaut. Los Angeles für das Auto.
Unsere Städte sind meist eine Mischung – je nachdem, in welcher Phase welcher Stadtteil gebaut wurde: Eine kleine enge Altstadt für Fußgänger, die gründerzeitlichen Stadtteile um die die Altstadt mit Mehrfamilienhäuser, die mit Pferdebahnen, später mit Straßenbahnen und Bussen gut erschlossen wurden, wo es aber auch überall Geschäfte in den Erdgeschossen gab, die für die Nahversorgung gut waren. Und außen herum die Einfamilienhaussiedlungen, wo man wirklich nur wohnen kann und man überall mit dem Auto hin muss.
Wir müssen diese Denkweise umdrehen: Wir dürfen die Städte nicht mehr so entwickeln, dass sie zum Auto passen. Wir müssen sie so entwickeln, dass sie zu den Verkehrsmitteln passen, die wir lieber hätten.
Es geht also nicht ausschließlich um eine Straßenbahn für Kiel oder um Radwege oder Straßen, die für Autos gesperrt werden. Auch. Aber wir müssen dafür sorgen, dass wieder alle wichtigen Dinge entweder in der Nähe oder per Internet möglich sind. Das ging schon einmal. Die Straßen, die vor 1950 gebaut wurden, waren alle nicht für Autos gedacht. Dort haben trotzdem Menschen gelebt ohne zu verhungern und nicht zur Arbeit zu kommen.
Das Gleiche gilt für kleine Städte und Dörfer. Auch für die wäre es gut, wenn wir dafür sorgen, dass man wieder mehr im Ort erledigen kann und nicht immer mit dem Auto fahren muss. Ganz darauf verzichten muss man dann gar nicht.
Wir gewinnen dadurch Platz in den Straßen, die nicht mehr voll kostenlos abgestellter Fahrzeuge stehen. Wir gewinnen dadurch sichere Spielräume für Kinder und sichere Schulwege. Wir gewinnen dadurch ruhigere Wohngegenden. Wir gewinnen damit Platz auf den Gehwegen für Rollatoren und Kinderwagen. Wir gewinnen Platz für Freizeit, Kunst und Kultur für Cafés und Restaurants. Wir sparen Zeit, die wir früher im Auto verbracht haben. Wir sparen Geld für Autos, Treibstoff, Reparaturen und Strafzettel. Wir sparen Ressourcen. Wir retten die Städte und den Planeten. Ich finde, das ist ein schönes Ziel.
Video
In der Digitalen Woche habe ich darüber mit der Mobilitäts-Expertin Katja Diehl gesprochen. Die hatte noch eine Million mehr schöner Gründe, für eine Welt mit weniger Autos.
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